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Fünf Freunde

Soziale Hintergründe bei der Erziehung

in der Zeit der 'Fünf Freunde'

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Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in einigen europäischen Staaten noch immer eine große Anzahl Kinder, die ihre Bildung in privaten Einrichtungen erhalten. Diese Schulen unterscheiden sich meistens nicht -wie bei uns die Waldorfschulen- in der Methodik von den konventionellen Schulen. Es ist vielmehr so, daß die Eltern die Kinder auf Privatschulen schicken, weil die Kinder dort in besserer Gesellschaft sind. Die verschärfte Version der Privatschulen ist natürlich das Internat. In Deutschland nur noch selten zu finden, ist es in Großbritannien keineswegs nur eine kleine Minderheit, die Boarding-Schulen besuchen. An meiner Universität zum Beispiel, sind etwa ein Drittel der britischen Studenten vorher auf einem Internat gewesen. Das Eintrittsalter kann dabei variieren, aber in meinem Wohnort behauptet eine Privatschule sogar Kinder ab drei als Boarder aufzunehmen. Oft habe ich miterlebt, daß Eltern sich die Privatschule für ihre Kinder vom Munde absparen mußten, denn der Spaß ist nicht einmal auf niedrigerem Niveau ganz billig, und das alles mehr oder weniger nur, um dem Kind zu einem Pluspunkt im Lebenslauf zu verhelfen. Dabei zeigen neuere Statistiken, daß die wirklich teueren Boarding-Schulen, wie zum Beispiel Eton College oder Harrow, eher ein Hindernis bei der Bewerbung sind, weil es ein ultrakonservatives Image ausstrahlt. Ein Detail, das ich ziemlich interessant fand ist, daß die Cousins nach Möglichkeit immer zu zweit in einem Zimmer schlafen. Natürlich kommt einem das etwas seltsam vor, denn wir haben uns wohl alle über unser eigenes Zimmer gefreut und die Privatsphäre geschätzt. Aber wie wichtig ein Doppelzimmer für Boarding-Schüler sind, habe ich an der Uni gemerkt, wo es Studenten gab, die es partout nicht geschafft haben, alleine in einem Zimmer zu sein. Sie mußten also jemanden finden, der mit ihnen in ein Zimmer ziehen wollte.

Nun aber zu unseren fünf Helden. Sie haben die Boardingschool zu einer Zeit besucht, als es mehr als nur zum guten Ton gehörte, dies zu tun. Man denke hier an das Datum der Veröffentlichung des ersten Bandes. Es war Krieg, und da konnte man gleich zwei Fliegen mit einem Streich erledigen: Erstens war natürlich auch das Bildungswesen von Mobilmachungen betroffen. Die Privatschulen konnten immerhin durch attraktivere Gehälter Lehrer aus dem Staatsdienst abwerben. Zweitens liegen die Internate traditionell auf dem Land. Besonders den Londoner Kirrins mag es deshalb gelegen gekommen sein, daß Ju, Dick und Anne vom 'Blitz' unbehelligt blieben.

Es ist interessant, wie sehr die Vier das typische Bild eines Boarding-Schülers abgeben: Immer handeln sie im Bewußtsein, Gutes zu tun und Böses zu verhindern. Die Erziehung in den Boardingschools vermittelt traditionell Ansichten, die nur Schwarz-Weiß-Denken zulassen. Dialektik bleibt oftmals das, was es ist: Ein Fremdwort. Dazu gehört zum Beispiel das Mißtrauen gegenüber allem Unbekannten, wie wir es in 'Fünf Freunde im alten Turm' erleben. Die Tatsache, daß einige Personen 'nur' Walisisch sprechen, reicht völlig, um die Betroffenen als Primitivlinge einzustufen. Echtes Mißtrauen hingegen erleben wir, wann immer Zigeuner mit von der Partie sind. Das ist hart am Rassismus.
 Dazu paßt auch, daß unsere Helden Uniformträger als Freund und Helfer ansehen. Manchmal müssen sie im nachhinein allerdings einsehen, daß diese Annahme falsch war, denn Uniformen kann man sich natürlich auch mal 'ausleihen', was die Fünf dann auch glatt in Bedrängnis bringt.

Auch auf eine typisch konservative Erziehung ist die Vorliebe der Londoner Kirrins für Ferien auf dem Land zurückzuführen. Während man denken sollte, daß das Leben in der Stadt attraktiver erscheint, weil es so viel mehr in Ballungsräumen zu tun gibt, der wird sich in England wundern. Natürlich hat sich in dieser Beziehung viel getan, aber im Gespräch mit Leuten, die in etwa aus den Jahrgängen der Fünf stammen, stellt man schnell fest, daß sie von nichts mehr träumen, als ihr Leben in der City hinter sich zu lassen und etwas Neues auf dem Land anfangen. Die Stadt ist der Moloch, das Country dagegen verspricht Reinheit, ehrliche Menschen und Ruhe. Wanderungen statt Kino, Bücher statt Window-Shopping, trautes Heim statt aufregendem (und hektischem) Stadtleben.
Man sollte meiner Meinung nach dieses Bild von den Heranwachsenden nicht bewerten. Diese Kinder hatten keine Wahl, denn sie wurden eingeschult, bevor es zu den großen Reformen der späten Sechziger und Siebziger kam. Und man muß sich die Kinder in ihrer Zeit als glückliche Menschen vorstellen. Sie funktionierten in ihrer Zeit und in ihrem Raum, heute wären sie wohl undenkbar. Und genau darum denke ich, daß die Fünf Freunde immer noch eine Faszination auf Menschen ausüben, die nie auf die Idee kommen würden, in den Sommerferien zu einer Kusine an den Ärmelkanal zu fahren, wenn man ans Mittelmeer reisen kann, wo man ohne Angst vor Krämpfen schwimmen kann, weil das Wasser nicht eiskalt ist. Wer von uns hätte sich im Alter von dreizehn nicht geschämt, von einer Radtour zu erzählen, wenn andere auf Mallorca waren? Und welche Eltern würden heute ihren Kindern solche Ferien noch erlauben? Wir haben die Fünf immer heimlich beneidet. Natürlich wegen der Abenteuer, in erster Linie, aber doch auch wegen der Dinge, die sie im Allgemeinen unternehmen durften. Sie haben uns mitgenommen: zum Zelten, auf die Felseninsel oder in Höhlen. Und haben so vielleicht auch Stadtkindern Dinge gezeigt, die man nicht kaufen kann. Dafür bin ich ihnen ewig dankbar.

Sven